Skinnys Abrechnung #11: Religion zur Selbstdarstellung

Das war echt wieder so ein ich-sollte-das-Genre-wechseln-Moment, als ich den religiösen Schlagabtausch von SadiQ und PA Sports auf Facebook sehen musste. SadiQ warf PA nach dessen Videoankünigung, in der (oh Schreck) eine luftig bekleidete Dame zu sehen war, vor ein respekt- und ehrenloser, ganz furchtbar schlechter Moslem zu sein. Öffentlich, versteht sich. Ein Video mit aufreizenden Damen mitten im Ramadan zu veröffentlichen sei laut ihm ein No-Go und überhaupt solle PA seiner Frau und seiner Tochter ein Vorbild sein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Tochter jetzt nicht mit dem Gedanken spielt, auch Rap-Videos mit leichten Frauen zu veröffentlichen, aber die Gefahr besteht natürlich, wenn man dem Glauben schenken darf. Jedenfalls antwortete PA Sports sehr ausführlich, reflektiert und prangerte gerechtfertigterweise SadiQs Doppelmoral an.

Der ist nämlich irgendwie der Meinung, im Ramadan wäre das Tabu, präsentiert sich aber ansonsten gerne als gewalttätigen Drogendealer. Überhaupt stellt er sich die berechtigte Frage, „wer die Regel aufgestellt hat, dass diese ganzen Straßensachen mit dem Islam kompatibel sind, aber leicht bekleidete Frauen direkt das Höllentor eröffnen.„. Das Video war letztendlich übrigens sehr unspektakulär. Die Dame wurde gelegentlich kurz eingeschnitten. Der Song war auch nicht sonderlich blasphemisch. Das war’s. Was aber der eigentliche Punkt ist: Religion hat da überhaupt nichts zu suchen! Wenn SadiQ seine Religion in der Form ausleben will, dass er während des Ramadan keine möglichen Anstößigkeiten von sich gibt – dann soll er das tun. Wenn PA unterdessen ein Video veröffentlichen will, das von mir aus auch (gerne) 50 komplett nackte Frauen beinhaltet – dann soll er das tun. Was geht das den jeweils anderen an? Rein gar nichts!

Religion ist im Rap zu einer Art Selbstzweck geworden und dient schon dazu, sich zu profilieren. In der Musik darf jeder thematisieren, was er möchte (solange er nicht dazu aufruft, anderen konkret zu schaden). Aber wenn beispielsweise Massiv in seinen Texten immer wieder subtil den Islam thematisiert, dann ist daran absolut nichts verwerflich. Wenn Olli Banjo dem Christentum einen kompletten Song widmet, dann ist das doch gar kein Problem. Das ist zwar ein sehr intimes Thema und – wenn man  es mal auf die Quintessenz herunter bricht – ungefähr das gleiche, wie wenn jemand beispielsweise seine Sexualleben ernsthaft thematisiert (also nicht nur Bitches wegcockt, sondern wirklich ehrlich und intim). Mag nicht mal jemand einen Track über Erektionsstörungen oder so machen? Oder ist das dann zu privat? Religion ist Privatsache, aber wenn man das öffentlichen machen will – nur zu. Interessiert mich persönlich halt einen Scheißdreck, wer wann wohin betet.

Wenn man seine Religion aber so zum Thema macht, wie es bei oben genannter Situation der Fall war, dann ist das absolut uncool. Was fällt SadiQ eigentlich ein, öffentlich (!!!) anzukreiden, in welcher Form ein anderer Mensch seine Religion auslebt? Was nun Haram oder nicht Haram ist spielt in diesem Fall auch überhaupt keine Rolle – das mit der Doppelmoral hat PA ja schon ganz gut klar gestellt. Aber wie kann man es wagen, jemanden mit dem Versuch der Bloßstellung dermaßen in seiner persönlichen Freiheit einzuschränken? Was geht das irgendjemanden an? Wen, außer den Praktizierenden selbst, betrifft das?

Als Nazar im Herbst letzten Jahres die „Alibi-Moslems“ kritisierte, schlug das heftige Wellen. Pi mal Daumen die Hälfte aller deutschen Rapper fühlte sich vor den Kopf gestoßen – dabei wurden nicht einmal Namen genannt. Einfach weil die meinen, ihre Religion öffentlich vor sich her tragen zu müssen, als wäre ein Glauben etwas besonders prestigeträchtiges, das jeder erfahren müsse. Und das als Kunstfigur, nicht als Privatperson. Klar gibt es immer eine Überschneidung zwischen den beiden, aber Religion ist etwas, das den privaten Menschen betrifft und nicht die Person des öffentlichen Lebens.

Für die Musik an sich ist es legitim, private Angelegenheiten zu thematisieren. Sonst wären ja auch alle Trennungs-Herzschmerz-Jammer-Songs unpassend. Aber seine Social Media Kanäle nutzen, um in gefühlt jedem dritten Post für seine Religion zu werben, wie es ein christlicher Rapper, dessen Name mir leider gerade entfallen ist (hust), macht. Religion, völlig egal welche, als Gegenstand der öffentlichen Selbstdarstellung. Ganz toll. Vor allem wenn das in so einem „Ich bin ein besserer Moslem als du“-Zickenkrieg mündet. Was der Mensch hinter dem Künstlernamen treibt, ob er 100 mal am Tag betet oder während der Fastenzeit einen Sündenrekord aufstellt, geht mich nichts an. Aber als SadiQ soll er, wie jeder andere Künstler auch, seine Musik machen, statt den religiösen Erzieher zu spielen und öffentlich in anderer Leute Privatleben herein zu pfuschen.