King Orgasmus One – M.I.L.F. (Mothers I Like To Fuck)

Ein neues Album von Orgi also. Gut, während die einen sofort kopfschüttelnd abwinken werden, werden sich die anderen sogleich gierig die Hände reiben. Und obwohl die erste Gruppe offenkundig deutlich in der Überzahl ist, reicht die Zahlenstärke der zweite Gruppe völlig aus, um Orgi weiter bei Laune zu halten. So sorgt der Südberliner, der seinen Wohnsitz seit einiger Zeit nach Österreich verlegt hat, regelmäßig für Nachschub, sei es als King Orgasmus One oder als kultiger Imbiss Bronko. Mit seinen zahlreichen Projekten und Alter Egos hat er es auf jeden Fall geschafft, seine ganz eigene Liga zu etablieren, eine, die sich jeglichem Vergleich entzieht. Und bedenkt man, wer in seinem Umfeld schon alles die ersten künstlerischen Gehversuche unternommen hat, kommt man schon allein deshalb nicht umhin, die Influenz des Manuel Romeike anzuerkennen.

M.I.L.F. (Mothers I Like To Fuck)„, der Titel seines neuen Albums, lässt eigentlich keine Fragen offen. „MILF“ ist ein Pornogerne, dass sich mit der sexuellen Faszination befasst, die älterer, erfahrenere Damen (die schon Kinder haben) auf jüngere Männer ausüben. Von „Mütter, die ich gerne ficken will“ ist man aber auch ganz schnell bei „Ich ficke deine Mutter“, dem Schlachtruf des guten, alten Westberliner Battleraps. Und genau dahin, zu den Wurzeln, zum Urpsrung, back to the muthafuckin sozusagen, nimmt Orgi es mit diesem Album, das dementsprechend hart und kompromisslos ausgefallen ist. Das Cover zeigt ihn schon mal in bester Rambo-Manier, hinter ihm, quasi als Requisite, eine junge Dame, die sicherlich nichts in der MILF-Abteilung verloren hat. Ein bisschen mehr subtiler Humor… ach, was soll das Geschwafel, die Zielgruppe wird es bestimmt freuen.

Im Intro beschreibt eine Frauenstimme einen Mann – und, Orgis Bild vor Augen, muss man da natürlich unwillkürlich grinsen: „Es handelt sich um einem Mann von etwa 40 Jahren. Ein breitschultriger Hüne, mit einem Glied, das so groß ist, wie das eines Zuchthengstes. […]“ Im Anschluss rappelt es gleich richtig. Der verbale Rundumschlag „Ich laufe Amok“ zeigt Orgi im Blutrausch. „Fick Antifa! Hier ist Manuel Hitler/ Ob links und rechts, alle wolln´se Koka/ Mittelfingerrap – deine Mutter ochs ich weg. […] Ich lade meine Gun, hol die Uzi aus dem Schrank/ Und dann? Fick ich Rap!“ Yo. Das erinnert stark an die Zeiten, als man mit Hitler-Reimen und einer Ablehnung jeglicher humanistischer Werte in Berlin noch der King war. Die einfache Struktur wirkt in Kombination mit dem simplen, aber druckvollen Beat und den simplen Synthielines so richtig Hardcore. Zumal die Stimme durchweg im Brüllton gehalten ist und richtig aggressiv und rau klingt. Spätestens jetzt dürfte klar sein, wohin die Reise geht.

Es folgt „MILFHunter“ mit Sportsfreund Bass Sultan Hengzt: Straighter Beat, Sägezahn-Bassline und paar Stabs bzw. Breaks müssen reichen. Standard und im Kasten! Standard meint in diesem Falle freilich Orgi-Standard – kaum jemand anderes versteht es, das immergleiche Thema in immer wieder neue Varianten zu verpacken und auszuschmücken, so dass es niemals langweilig wird. Natürlich ist das extrem primitiv, vulgär, sexistisch, frauenverachtend, gewaltverherrlichend oder alles auf einmal, aber das Ganze ist dermaßen comichaft überzeichnet, dass nur ein durchweg unempfindlicher Mensch den Kunstaspekt darin nicht wahrnehmen könnte. Zumal Orgi mit „Imbiss Bronko“ ja durchaus bewiesen hat, dass er auch in völlig andere Rollen schlüpfen kann. 

Das gilt allerdings nicht für alle Gastbeiträge. Zum Beispiel bei „Ich Liebe Deine Muttah“: Ein düsterer Mid-Tempo Beat bietet Blokkmonsta genau die richtige Grundlage für das, was man man von ihm gewohnt ist. Der Rap sitzt, aber auf großartige Variationen oder überraschend andere Perspektiven wartet man vergeblich. Orgi hingegen bringt eine Story, die bei Gelegenheit mal von einem Psychologen begutachtet werden sollte – kämen womöglich interessante Ergebnisse dabei heraus. Der zweite Gast auf dem Song ist „Muttificker“ Schwartz und diesem gelingt eine wirkliche Überraschung, da er in einer ähnlich übertriebenen Art wie Orgi die verbalen Bilder malt und seinen Rapstil bis hin zum Wahnsinn verbiegt. Guter, kranker Scheiß.

Unbedingt erwähnenswert ist auch der Part von Basstard bei dem Song „Liebe und Hass“, der aus der Sicht eines Kindes kurz nach der Geburt gerappt ist: „… da bist kaum raus aus dem Knast und wirst rumgereicht/ Am Ende kriegt dich das Ding, was dich reingebracht hat/ Vor lauter Angst schreist du los, du hast eingekackt/ Das Leben auf der Straße ist hart, keiner schützt dich/ deshalb musst du mit Stützrädern fahr´n, Mutterficker“ Derart zielsicher bringt er die Strophe mit seinem Horrorstyle ins Ziel, dass jeder Mutter angst und bange werden muss. Herrlich absurd, absurd herrlich.

Du Vertraust Mir Nicht“ ist verglichen damit schon fast Mainstrematauglich und hat beinahe Hitcharakter. Der Text ist sehr gemäßigt und von der Aussage her so übertrieben allgemeingültig, dass wohl fast jeder ein Lied davon singen bzw. mitsingen kann. „[…] Mit wem warst du? Wo warst du? Was hast du gemacht?/ Meine Frau ist wie die Stasi und geht mir auf den Sack/ Sie hat Frauenstimmen im Hintergrund gehört und sie denkt ich geh fremd und ficke nur rum/ Frauen sind dumm, Frauen sind alle gleich/ Sie denken falsch, deshalb gibt´s auch immer Streit “ Unterlegt ist das Ganze mit einem eingängigen Instrumental, das ein wenig an „Haus und Boot“ erinnert.

Die anderen Songs wie „Piss Orgien„, „Meine Milf„, „Keine Skrupel“ oder „Notgeil“ bieten aber größtenteils die erwartbare Hardcoreware, die vor allem den Stammkonsumenten Befriedigung verschaffen wird und definitiv nichts für schwache Nerven oder zartbesaitete Gemüter  ist. Hier wird der Vorhang zu einer Welt gelüftet, die vielleicht in den Augen vieler pervers und primitiv sein mag, gewaltgeil und gewollt obszön.
Das ist auf jeden Fall polarisierend und diskussionswürdig, vor allem, was die ganz jungen Hörer betrifft. Aber Orgi und andere Rapper fordern schon seit Jahren für Musik eine offizielle Alterskennzeichnung, ähnlich wie das bei Filmen der Fall ist, damit sich dieses Subgenre besser einordnen lässt und nur in die richtigen Hände kommt. Rap für die Ab 18-Abteilung des Plattenhandels. Und nachdem man am Türsteher und zehn Seelsorgern und/oder Teufelsaustreibern vorbei ist, kann man genüsslich in die Welt von Orgi und seinen Atzen (neben den bisher genannten sind das dieses Mal u.a. Vork, GPC, Dissziplin, MurdocH, Kroko Jack, Vollbluthustler und Jok-r) eintauchen. Und da das virtuell geschieht, ist es einfach Unterhaltung pur, vergleichbar einem guten Horrorfilm mit ein paar pornographischen Elementen. So kann man getrost in den Eintritt in Orgis Kabinett der Abnormitäten investieren.

Falls man Gefallen daran findet, wird man beim nächsten Gastspiel einige Gesichter bereits kennen, aber stets mit neuen Geschichten versorgt. Anderenfalls einfach die rosarote Brille auf die Nase schieben und „MILF (Mothers I Like To Fuck)“ besser tunlichst ignorieren.