Rap und Literatur Spezial: Eine Kurzgeschichte über meine Sucht

Ich weiß es noch ganz genau

Als wäre es gestern gewesen. Dabei war es Montag letzte Woche. Ich komme von der Arbeit nach Hause und bin schon richtig hungrig auf mein tägliches Broke-Ass-Nudelgericht. Ich mache die Tür auf und merke sofort, dass etwas anders ist als sonst. Es liegen richtig viele Schuhe im Flur und es ist seltsam ruhig für eine WG mit sechs mental instabilen Menschen. Erstmal in mein Zimmer. Jacke aus und rein in die Schnellfickerhose. Chillaxing-Zeit ist angesagt. Ich gehe in die Küche und Boom! Überraschung, alle meine Mitbewohner und meine besten Freunde haben sich in die nicht grade große Küche gezwängt. Und es sieht nicht nach einer Geburtstags-Überraschungsparty aus (nicht, dass ich Geburtstag gehabt hätte, aber wär halt trotzdem nice gewesen). Ich bin geschockt und gleichzeitig gerührt. Verwirrt. Meine ersten Worte sind in etwa so:

Hallo…was macht ihr hier?“

Ich bin ziemlich hangry und deswegen verlassen die Worte meine Lippen nicht gerade mit Freudenschreien. Nicht sofort ist eine Antwort zu hören. Ich schaue in die Runde und sehe Gesichter, die mir zwar vertraut, aber in diesem Moment nicht ganz geheuer sind. Je länger ich die Szenerie scanne, umso mehr trifft mich die nervöse Stimmung. Mein Mitbewohner aus Übersee spielt an seinen Fingern, meine beste Freundin sucht etwas in ihrem Ärmel, die meisten Augenpaare weichen mir aus und ich wiederhole: Was macht ihr hier? Ich hab nur Liebe für euch, aber was macht ihr hier?“ Ich versuche mir die Antwort selber zu geben: Oh nein, das ist jetzt wieder so ne Prank-Geschichte, oder?“

Eine Person tritt aus der Gruppe heraus und geht einen Schritt auf mich zu. Eine Frau, deren Namen ich jetzt nicht weiter erwähnen möchte, die mir aber sehr am Herzen liegt – und das tun nicht viele. Die ich noch nie sexuell angegangen bin. Naja, vielleicht ein, zwei mal. Aber nie so richtig. Ich bin immer noch total perplex von der ganzen Situation. Das kommt jetzt eventuell ein bisschen überraschend für dich, aber vielleicht kannst du dir vorstellen wieso wir hier sind“, kriege ich zu hören. Kurzes Überlegen, dann: Nein!“ „Sicher, dass du keinen Plan hast wieso wir uns alle hier versammelt haben?“ Kurzes Überlegen, dann: Nein!“. Ich habe Hunger und in meinem Gehirn dreht sich so ziemlich alles um

Pasta. Pasta. Pastaaaa!

„Du weißt wir lieben dich und so. Wir wollen nur das Beste für dich. Das weißt du doch, oder?“ Ich denke schon, ja…Wo sind die Geschenke?“ Ich versuche die angespannte Situation mit einem kleinen Joke etwas aufzulockern. Selbst ein Slow-Motion Denker wie ich hat gecheckt, dass hier etwas Ernstes ansteht. Aber was? Ich habe einen Job. Einen Job, bei dem ich einem geregelten Tagesablauf folge und mit dem ich Geld verdiene. Zumindest ein bisschen Geld. Was so viel bedeutet wie: meine Eltern und ein großer Teil meiner Freunde sind schon um einiges erleichterter als in den Jahren zuvor. Ich bin immerhin noch nicht straffällig geworden. Keine Bekanntschaften geschwängert. Ich habe einen Job. Ich lasse mein Zimmer nicht im kompletten Chaos versinken. Ich kiffe nicht mehr. Ich habe einen Job!

„Okay, wir wissen ja, dass du immer etwas länger brauchst, deswegen helf ich dir mal auf die Sprünge. Wenn du scharf nachdenkst, mit was verbringst du viel Zeit in deiner Freizeit?“ Mit euch.“ Wenn du alleine bist, du Idiot!“ Ääääähm, ich weiß nicht genau. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich im Großen und Ganzen nicht so viel mache. Ich dachte, das wisst ihr.“ Bei dir muss man auch immer mit der Tür ins Haus fallen. Wir sind hier, weil wir uns ein bisschen Sorgen machen um dich. Genauer gesagt um deinen Konsum einer bestimmten Website. Weißt du jetzt wovon ich spreche?“, werde ich von ihr gefragt.

Ich merke wie mir kleine Hitzewallungen durch den Körper fahren und ich unter den Achseln leicht anfange zu schwitzen. Kurzes Überlegen, dann: Nein!“ Obwohl ich nicht mehr ganz so verständnislos antworte wie zuvor. Du weißt wovon ich spreche, du konntest noch nie lügen. Egal, dann muss es eben von mir kommen. Es geht um Worldstarhiphop!“. Ohne ein Funken von Kontrolle flippe ich sofort aus. Ist das ’ne scheiß Intervention oder was?! Außerdem hab ich keine Ahnung wovon du redest und überhaupt, kümmert euch doch um euern Scheiß!“, platzt es aus mir raus. Ich will hier einfach nur weg, unter soziale Kontakte pflegen hab ich mir was anderes vorgestellt. Doch es sieht nicht aus, als könnte ich dieser Situation einfach so entfliehen.

Flashback

Letztes Wochenende. Es ist Nacht, schon fast Morgen. Ich starre mit ausgetrockneten Augen in den Laptop. Wie so oft. Wie so oft befinde ich mich auf der gleichen Seite wie schon die Jahre zuvor. Worldstarhiphop. Mehr als nur eine Website für mich. Eine wichtige Instanz in meinem täglichen Leben. Wieso? Keine Seite zeigt die Abgründe der amerikanischen, insbesondere der afro-amerikanischen Bevölkerung so nah am Geschehen auf wie Worldstarhiphop. Keine Seite, die einem die neuesten Tanztrends wie „Watch Me (Whip / Nae Nae)“ oder dem „Dab“ so schnell präsentiert. Keine Seite, die Vine-Compilations macht, bei denen man sich den twerkenden Chicks am Ende sicher sein kann. Keine Seite, auf der deutlicher wird, dass Amis einfach non-stop alles und jeden filmen. Bei der klar wird, dass das Filmen mit dem Smartphone in den Staaten schon so normal ist wie das Auto fahren, weil es einfach jeder tut. Wie viele neue Rapper es auf dieser Seite schon geschafft haben und wie viel mehr Rapper es hier schon versucht haben und gescheitert sind. Eine Seite, die Rapupdate bei weitem übertrifft, wenn es um die Beleidigungen in den Kommtarspalten geht („Rihanna ain’t got a forehead, bitch got a fivehead!“). Ich weiß gar nicht mehr wann es angefangen hat, aber es hat mich sofort erwischt. Dieses Gefühl, einmalig und mit nichts zu vergleichen. So viel Entertainment auf nur einer Website und das verpackt im Hip Hop-Gewand. Was will man mehr. Sind die extremen Dinge moralisch vertretbar? Nein. Ich bin auch kein Fan der Fight-Compilations, doch es geht auch gar nicht um moralische Verurteilung auf Worldstarhiphop. Es geht um den Spiegel eines Teils der Gesellschaft, den Worldstarhiphop aufzeigt.

Doch ist es noch das gleiche Gefühl wie früher?

Bin ich noch genauso angefixt von all den neuen Trends und Videos. Wahrscheinlich nicht. Ich versuche es zu kompensieren, in dem ich öfter auf andere Seiten gehe, nur um dann kurze Zeit später wieder auf Worldstarhiphop zu landen. Viel zu oft war ich nach stundenlangem WSHH-Konsum ein bisschen beschämt und habe mich gefragt, was ich hier eigentlich mache. Ich will nicht ins Ghetto und vor allem nicht nach Amerika, aber trotzdem lässt mich diese Seite der amerikanischen Gesellschaft nicht los. Man stellt sich vor, wie man selbst am Ort des Geschehens ist. Im Barbershop steht, seine Braids bekommt und auf einmal irgendjemand wieder mit einer neuen Challenge loslegt. Im Club auf Lean ist und schwarze und Latina-Schönheiten ihre dicken Ärsche zum Bass bewegen. Vielleicht ist es die Faszination eines Lebens, das man niemals führen wird und deshalb in Gedanken romantisiert wird. Ich werde niemals erfahren, was genau die Mechanismen hinter meiner Sucht sind. Ja, meine Sucht. Ich habe es zugegeben. Und wisst ihr was, es ist mir scheißegal. Jeder muss ein Laster haben und ich verschwende auch weiterhin gerne meine Zeit auf Worldstarhiphop.

Zurück zur Intervention. Man hat sich nach einem kleinen Wortgefecht wieder lieb und der unvermeidbare Group Hug bleibt natürlich auch nicht aus. Man findet Kompromisse und macht Zugeständnisse. Also ich mache Zugeständnisse. Vielleicht nicht bei jedem Gang zum Computer gleich auf Worldstarhiphop gehen. Worldstarhiphop überhaupt nicht als Startseite im Browser haben. Ich glaub, das bekomme ich hin. Denke ich. Man wird sehen, inwieweit ich das umsetzen kann. Die Unterstützung meiner Gang habe ich auf jeden Fall. Man will im Prinzip, dass ich überhaupt nicht mehr auf Worldstarhiphop gehe, aber dazu kann ich nur eins sagen: An alle meine Freunde und Verwandten. Ich liebe euch, aber Worldstarhiphop liebe ich noch mehr. WOOOOOORLDSTAAAAAR!