JAW – Täter-Opfer-Ausgleich

Täter-Opfer-Ausgleich“ – ein Titel, wie er programmatischer nicht hätte gewählt werden können. JAW hat sich aus der immer ein bisschen unsympathischen Rolle des ewig Benachteiligten, dem alle nur Schlechtes wollen, gelöst und nimmt sein Schicksal jetzt selbst in die Hand. Vorbei sind die Zeiten, in denen er zugegebenermaßen auf sehr hohem Niveau rumheulte, jetzt wird zurück geschlagen.Anfänglich mag einem die innere Wandlung des Dokta Jotta, der zunehmend als eine Art Alter Ego im Sinne von Slim Shady zu fungieren scheint, vielleicht noch nicht auffallen. Einmal mehr ziehen sich Filmzitate als eine Art roter Faden durch das Werk des Freiburgers und auch dieses Mal handelt es sich um Teile aus einem französischen, kontrovers aufgenommenen Film. Nach dem Noé-Streifen „Menschenfeind„, hat sich der Künstler für sein aktuelles Werk allerdings an der Werbebranchen-Satire „39,90“ zu schaffen gemacht.

Auch „Meine Fans“ ist nichts, was man nicht schon gewohnt wäre. Über einen eingängig-fröhlichen Beat beschreibt uns JAW detailliert seine Anhänger und doch wird man den Eindruck nicht los, dass er eigentlich hauptsächlich über sich selbst spricht. Das eine muss aber das andere nicht ausschließen, schließlich sind „meine Fans so wie ich, ich bin wie meine Fans. Was wollt ihr von mir? Es gibt tausend Menschen wie mich„. Wird Weisse Scheisse also die nächste große Bewegung im Deutschrap, nachdem die Al Massiva Welle still und leise an den Klippen der Major Industrie aufgelaufen ist? Man würde es sich fast wünschen.

Bei „TOA I“ ist dann aber plötzlich alles ganz anders. Unterstützt von einem psychopathisch-filigranen Klangteppich schmückt Jottaweh hier das Racheszenario Nummer Eins dermaßen miterlebbar und detailverliebt aus, dass die Floskel der Künstler würde beim Zuhörer Bilder im Kopf erzeugen, wie die Untertreibung des Jahrhunderts wirkt. Natürlich. Dass Eminem hier als eins DER Vorbilder überhaupt fungiert, lässt sich unschwer verbergen, trotzdem kann ich mich nicht daran erinnern, schon mal etwas vergleichbares von einem anderen deutschen Rapper gehört zu haben. Das Schwanken zwischen dem entemotionalisierten Grundtenor, in dem aufs akribischste Umgebung und Handlungen beschrieben werden, und mal aggressiv, mal beinahe fröhlichen Ausbrüchen erinnert stark an den Altmeister aus Detroit, wirkt aber trotzdem zu keiner Zeit wie ein billiger „Kim„-Abklatsch.

Diesen überragenden Gesamteindruck kann „TOA 2“ leider nicht halten, ist aber ebenfalls hervorragend produziert. An derartige Szenarien hat die Justiz definitiv nicht gedacht, als sie diese „Maßnahme zur außergerichtlichen Konfliktschlichtung“ als „neben Strafen und Maßregeln dritte Spur des Strafrechts“ etablierte (danke Wikipedia).

Mir widerstrebt es, den Großteil der anderen Tracks als Füllmaterial zu bezeichnen, schließlich bewegen sich auch diese weit über dem, was man von den selbsternannten Rap-Musikern hierzulande sonst größtenteils vorgesetzt bekommt. Auf „Konzeptlos“ wird runde drei Minuten trocken bis gelangweilt über einen Beat, der an Minimalismus wohl seinesgleichen sucht, weitestgehend unzusammenhängend gerappt und trotzdem ganz großartig unterhalten. Was natürlich auch an der Verwendung von eher ungewöhnlichen Worten wie Mukoviszidose liegen könnte. Auch „Kein Star“ weiß zu amüsieren und stellt nahezu empört die Frage, warum sich JAW bekanntheitsmäßig immer noch im breitgefächerten Deutschrap-Mittelfeld bewegt. Schließlich kann er „auch lyrisch was: Mein Herz ist kalt. Ich wein‘ brennende Tränen. Mein Herz ist ein Wald. Meine Seele ist ziemlich dunkel. Du bist alles, was ich brauch‘ und wenn du dich töten willst Bitch, dann halt ich dich nicht auf!

Auch die Gastrapper geben sich keine Blöße und während „Jenseits Von Gut Und Böse“ mit Morlockk Dilemma und Me$$age einen solide guten Track darstellt, dessen klingelnder Beat bei wiederholtem Hören allerdings etwas enervierend ist und „Zeit“ mit Absztrakkt einen schönen Ausklang der Platte liefert, präsentieren Dokta Jotta und Mach One mit „Lass Dich Gehen“ einen absolut genialen, verdrogten Absturztrack. Von den Beiden würde ich persönlich mir auch ein „Menschenfeind„-ähnliches Kollaboalbum wünschen.

Bewegt sich JAW auf Großteilen von „Täter-Opfer-Ausgleich“ trotz des Titels in gewohnt sarkastischer Distanz zu sich selbst und der Szene, ohne es an tiefschürfender Selbstreflexion und kritischer Betrachtungsweise der angesprochenen Themen mangeln zu lassen, so gibt es neben den beiden „TOA„-Tracks noch einen weiteren, in dem der Doktor die Contenance verliert. „Elena“ heißt der Song, der einer selbstzerstörerischen Liebe gewidmet ist und ebenfalls „Kim„-Züge trägt. Nur widmet sich der brennende Hass dieses Mal nicht gegen jemand anderen, sondern sich selbst.

Auf fast vier Minuten schwankt Jotta zwischen schmerzhaften Erinnerungen und dem Wunsch, das eigene Dasein möglichst schnell zu beenden und schließt mit den Worten „Es tut mir Leid, dass ich so scheiße zu dir war. Mach’s gut, wir sehen uns auf der anderen Seite – als Paar!“ und der Erkenntnis „Ich kann dir nicht geben was du suchst. Was immer ich gab, du nahmst es, doch nichts davon war dir genug. Und ich gebe kein Fick, du musst dir schon holen, von dem du willst, dass ich’s dir gebe: Mein Leben„.

Vier Jahre sind seit seinem letzten Album „Schock Für’s Leben“ vergangen und vergleicht man nur diese beiden Soloreleases miteinander, ist die Weiterentwicklung, die der Freiburger inhaltlich, raptechnisch, textlich und im Allgemeinen musikalisch durchgemacht hat, enorm. Neben Jotta selbst, haben Nowak, Peet, Blazin Hand und Cheebabeatz außerdem einen Sound kreiert, der zwar gefällig, aber keinesfalls gewöhnlich ist.

Mit „Täter-Opfer-Ausgleich“ wurde ein Album veröffentlicht, dass ganz Rapdeutschland gewaltig, pardon, in den Arsch fickt, ohne dass dieser Umstand auf der Platte an sich permanent wiederholt werden muss. Chapeau, Herr Jonas E., ich bin begeistert.