Aluhut ab: Deutschrap und Verschwörungstheorien #1 [Kommentar]

Es ist mittlerweile fast schon ein alter Aluhut: Deutschrap und Verschwörungstheorien, das ist eine fruchtbare Beziehung. Wer es vergessen haben sollte, braucht sich nur die Facebook-Kommentare durchzulesen, die mein gestriger Kommentar zum Wirbel um Xavier Naidoo hervorgerufen hat. Da schießen schnell wilde Phantasien ins Kraut, natürlich immer im Duktus eines religiös Erleuchteten (ergo Verblendeten), eines Verkünders absoluter und unbestreitbarer Wahrheiten. Das ist das nervige daran: Man gibt vor, kritisch zu sein, verrennt sich aber in einem ultravereinfachten Weltbild und ist bereit, jede unbewiesene (meistens ohnehin unbeweisbare) Behauptung zu glauben, die ins Muster zu passen scheint. Die Welt als ein großes Puzzle, wo jedes Teilchen seinen Platz hat – eine reichlich unterkomplexe Vorstellung.

Nun ist das Phänomen keineswegs nur auf Deutschrap beschränkt. Von ganz rechts bis ganz links und bis in die tiefste Mitte der Gesellschaft hinein sind Verschwörungstheorien mittlerweile salonfähig. Die Gründe dafür sind vielfältig, reichen vom Verlust der Religion als allgemein gültiges Erklärungsmodell, das die Komplexität der Welt in einfache Formeln packt über das schwindende Vertrauen in Institutionen wie Medien oder Parlamente bis hin zu der Tatsache, dass es ja tatsächlich sehr verdächtige Vorgänge gibt, etwa die bisher nicht befriedigend erklärbare Verstrickung des Verfassungsschutz in die NSU-Morde.

Das gesamtgesellschaftliche Phänomen wollen wir hier aber nicht vertiefen, schließlich und immerhin sind wir eine Rap-Seite. Richten wir also den Blick auf die Zustände in der Deutschrap-Welt – und die sind besorgniserregend. Da verbreitet etwa ein Massiv das Gerücht, bei den Anschlägen von 9/11 seien keine Israelis ums Leben gekommen, weil diese vorher ein Zeichen bekommen hätten. Fler postet einen Screenshot von Compact, dem Format des Pegida-Freundes Jürgen Elsässer mit dem Hinweis „müsst ihr abchecken“ , Sinan-Gweiß“ , dass die Drahtzieher der Anschläge in Paris in „ganz anderen Ländern“ sitzen (gemeint sind sicherlich weder Syrien noch Belgien) und so weiter, und so fort. Videos des Posterboys aller Verschwörungsideologen, Ken Jebsen, gehören ohnehin schon zum guten Ton – vielleicht weil viele angesichts der Sprechgeschwindigkeit gar nicht merken, wie perfide der vom RBB geschasste Ex-Moderator Fakten mit Halbwahrheiten, Vermutungen und Spekulationen, aber auch eindeutigen Lügen vermischt.

Um besser zu verstehen, wie diese Komponente in Deutschrap kam, hilft es vielleicht, den Blick einmal zurückzuwenden. Wo kommt das alles her, wann fing das an? Bei der Suche nach den Wurzeln gerät man unweigerlich an die Figur Prinz Porno. Schon 1998 rappte er in seinem wohl berühmtesten Song „Keine Liebe“ wahnwitizge Zeilen wie

Die Welt wird kontrolliert von Rosenkreuzern und Triaden
Mafioso Majorlabels, Militärs und Syndikaten
Der Vatikan führt einen Krieg um Kokain
Gegen CIA und Contras und natürlich Westberlin
Adolf Hitler seine Ufos kontrollier’n die USA
Bill Gates ist nur ein Klon von Pablo Escobar

In „Herren der Welt“ , das 2001 erschien, nahm er u.a. Bezug auf die Hohlwelttheorie, auch Tracks wie „Falscher Ort“ , „Stein der Weisen“ oder „Schwarzes Haus“ spielten mit diversen Mythen rund um Freimaurer, Rosenkreuzer, Illuminaten, Okkultisten usw.. Der Unterschied zu heute fällt sofort ins Auge: Porno ging das ganze sehr ästhetisch an, nicht im Duktus eines überspannten Möchtegern-Propheten, der „Wacht auf!“ brüllt, sondern einfach als cooles, stylisches Stilmittel und Alleinstellungsmerkmal.

Damals, lange vor „Zeitgeist“ oder 9/11, waren Verschwörungstheorien noch etwas für einen kleinen elitären Zirkel, der die Romane von Umberto Eco las oder sich sogar an die darin genannten Werke wagte, spätmittelalterliche Okkultisten bzw. deren Feinde studierte und sich an dem wohligen Grusel erfreute, der einem angesichts all der geheimen Treffen in Katakomben, versunkenen Städten und mystischen Ritualen den Rücken hinunterkroch.

Kurzum: Es war Literatur, Kunst, Phantasie, Style, Attitüde – aber eben kein Truther-Scheiß, kein Aufguss des widerwärtigen „Protokolle der Weisen von Zion“ , einer antisemitischen Fälschung des russischen Geheimdiensts. Es ging nicht darum, die Welt tatsächlich in gut und böse einzuteilen und Feindbilder zu schaffen oder simple Erklärungen für komplexe Probleme zu finden, nein. Es war l’art pour l’art, absichtslose Kunst um der Kunst willen.

Und das unterscheidet sich allerdings dramatisch von den Songs und vor allem Postings deutscher Rapper heutzutage. Wie es dazu kam, beleuchten wir im zweiten Teil dieser Kommentar-Serie. Bald.